Es ist 8.33 Uhr, als die Funk- und Warngeräte Alarm schlagen. Die in Einsatzuniform vor dem Feuerwehrhaus Küb wartenden Helfer aus Küb greifen zeitgleich nach ihren „Piepserln“ bzw. Handys. „Eisenbahnunglück in Küb, ÖBB-Übung Tunnel Pettenbach“, heißt es in der kurzen Alarmnachricht der Bezirksalarmzentrale. Andreas Heinfellner, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Küb, ist zufrieden. „Vier Minuten, das ging schnell“, sagt er. Tatsächlich sind vier Minuten für eine herkömmliche Alarmierung wenig. Dass es nur so kurz gedauert hat, einen Notruf des Lokführers über die Bezirksalarmzentrale an alle Einsatzkräfte weiterzuleiten, ist zumindest schon einmal ein gutes Omen.
Angesichts des Umfangs der Übung, die da am Samstag, den 23. September im Einsatzgebiet der Freiwilligen Feuerwehr Küb durchgeführt wurde, hätte alles andere als ein glatter Start auch nur für zusätzliche Anspannung und Ungeduld in die Reihen der Einsatzkräfte gesorgt. Tatsächlich waren es nicht bloß ein paar Dutzend, die in den nachfolgenden Minuten zu dieser von der Feuerwehr Küb, den ÖBB und der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen ausgearbeiteten Großübung zur Hilfeleistung ausrückten, sondern mehr als 140. Während in der Neunkirchner Behörde ein 18-köpfiger Bezirksführungsstab eingerichtet wurde, um den Einsatz über Verbindungsoffiziere zu koordinieren, rasten von den umliegenden Gemeinden nicht weniger als 30 Einsatzfahrzeuge in Richtung Küb. Das Gros mit 21 Fahrzeugen und 107 Mann stellten die Freiwilligen Feuerwehren.
Es ist kurz vor neun Uhr. „Mannschaft Rüstlösch aufsitzen“, ruft Zugskommandant Werner Prangl den Küber Helfern zu. Auch die örtliche Einsatzleitung mit Einsatzleiter Martin Rella ist bereits zum Pettenbach-Tunnel unterwegs. Am Ort des Geschehens bietet sich den Kübern ein schlimmes Bild. Ein Personen-Regionalzug war in der Mitte des Tunnels mit einem ÖBB-Bauzug, darunter ein Kesselwaggon, der Diesel verliert, kollidiert. Im Zug: Bis zu zwei Dutzend leicht- und schwerverletzte Personen. Zu den ersten, die den vollkommen finsteren Waggon betreten, zählt Erich Kodym von der Freiwilligen Feuerwehr Semmering. „Als ich in den Fahrgastraum kam, bin ich mit den Stiefeln gegen etwas Weiches gestoßen. Da lag eine Person halb am Boden“, erzählt er später. „An den Fenstern, auf dem Boden – überall lagen Menschen.“ Die Männer wiederum reagieren richtig und beruhigen die Verletzten: „Wissen Sie, wo sie sind? Nennen Sie mir bitte ihren Namen. Das Rote Kreuz ist verständigt, es dauert nicht mehr lange.“
Suchhunde vom Hubschrauber abgeseilt
Während die Helfer im Tunnel erste Hilfe leisten und die Leichtverletzten aus dem Waggon tragen, rollen vor den nur schwer zugänglichen Portalen die Hilfsmaßnahmen an. Einsatzfahrzeuge müssen eingewiesen, Rettungswege durch das Gestrüpp geschlagen und der Brandschutz aufgebaut werden. Die Rettung erfolgt teils auf Tragen, teils auf Gleiswagen, auf denen die Verletzten zum nächsten Versorgungsplatz geführt werden. Als bekannt wird, dass zwei Personen vermisst sind, wird vom Roten Kreuz eine Hundesuchstaffel angefordert – und diese sogar per Hubschrauber eingeflogen und in einer spektakulären Aktion über dem Gebiet abgeseilt. Erich Kodym zeigt sich beeindruckt: „Die handelnden Akteure – egal von welcher Blaulichtorganisation – haben profimäßig gearbeitet“, erklärt er. Vor allem, wie die Helfer mit Blick auf den Dieselwaggon reagiert hatten, habe ihn beeindruckt. Demnach wurde das Leck am Tank nicht nur sofort mit Keilen verschlossen, sondern auch eine Plane angebracht, um ein Einsickern von Schadstoffen ins Gleisbett zu verhindern.
Beim Feuerwehrhaus Küb ist in der Zwischenzeit der Bezirksführungsstab mit Einsatzleiter Bezirkshauptmann-Stellvertreter Martin Hallbauer eingetroffen und informiert sich beim Stab S5 über die aktuelle Lage. Der Vorplatz gleicht einem Zeltlager. Unter den eilig aufgestellten Planen nehmen die Helfer des Roten Kreuzes die nach und nach eintreffenden Verletzten in Empfang. Während die beiden vermissten Personen gefunden und wie die übrigen insgesamt 21 Patienten versorgt werden können, kommt für eine Person jede Hilfe zu spät. Sie „erliegt“ im Zelt seinen Verletzungen. Dennoch überwiegt bei den Beobachtern wie auch jenen, die bei der Übung als Statisten, das heißt als „Verletzte“, fungiert haben, das Lob. „Ich finde, alle Einsatzkräfte haben sehr gute Arbeit geleistet und alles gegeben“, sagt Bezirkshauptfrau Alexandra Grabner-Fritz. Sie muss es ja wissen, hatte doch auch sie sich bereit erklärt, bei der Übung persönlich als „Opfer“ mitzuwirken.
Kommandant Heinfellner blickt auf die Uhr. Es ist kurz nach elf Uhr. Die Übung ist zu Ende, im Zelt vor dem Feuerwehrhaus in Küb, in welchem das Rote Kreuz eine Verpflegungsstation eingerichtet hat, füllt sich mit Einsatzkräften und Zuschauern. Auch zahlreiche Ehrengäste, unter anderem Bürgermeister Edi Rettenbacher, haben sich eingefunden, um der Mannschaft für ihren Einsatz zu danken. Bevor es zur bereitgestellten Jause geht, nehmen die Helfer noch einmal Aufstellung – zur Einsatzbesprechung. Auch wenn das eine oder andere nicht so gut geklappt hat – das Finden des Anfahrtsweges und des zugewiesenen Standortes zum Beispiel –, so war doch diese Übung ein toller Erfolg.
Die Eisenbahn über den Semmering mag bereits mehr als 160 Jahre alt sein. Passieren kann hier aber immer etwas, wie etwa das Zugunglück im Vorjahr gezeigt hat. Und da ist es nur gut zu wissen, dass Hilfe auch kommt, wenn man sie braucht.